Strategisches Forum 2018
am 13. November 2018

Lebensmittel von morgen:
Science & Fiction

Wachsende Weltbevölkerung, wachsender Bedarf an Lebensmittelrohstoffen und wachsender Wettbewerb um Biomasse befördern die Suche nach Alternativen zur klassischen Lebensmittelproduktion. Dies führte in den letzten Jahren zu etlichen neuen Ansätzen (Fleischersatz, „environmentally controlled farming“, Insekten u.a.) und einer Vielzahl von Unternehmensgründungen mit Einsatz sehr großer Summen an Risikokapital – vor allem in den USAund in Fernost. In einigen Ländern werden jedoch auch beträchtliche öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung für alternative Produktionsweisen getätigt.

Handelt es sich bei diesen neuen Lebensmittelsystemen vor allem um Verfahren und Produkte für Nischenmärkte oder werden hier wirkliche Alternativen zu den klassischen Feldern der Lebensmittelproduktion erschlossen? Welchen Nutzen liefern sie für Konsumenten und Umwelt? Und, was bedeutet dies für die agrarwissenschaftliche Forschung von morgen?

Diesen Fragen widmet sich das Strategische Forum 2018 verbunden mit der kritischen Wertung des Sachstandes zwischen Science und Fiction.

Programm

09:00 Uhr Ankommen
10:00 Uhr
Produktion, Geschäftsfelder, Grenzen – zukünftiger Bedarf und neue Möglichkeiten
  • Wie können neue Lebensmittel die Landwirtschaft verändern und welche Veränderungen bei Lebensmitteln und Landwirtschaft sind realistisch?
  • Was kann und sollte die landwirtschaftliche Produktion leisten?
  • Wie muss die Agrarforschung hierauf reagieren?
12:45 Uhr Mittagspause
14:00 Uhr
Was sind die zentralen Fragen für die Forschung?

Produktion, Forschung, Infrastrukturen, Kooperationen, Förderung – Ist Agrarforschung zukünftig nicht mehr erforderlich oder ändert sich die Agrarforschung?

Drei parallele Sessions: Rot, Gelb und Grün

  • Rote Session: In-vitro-Fleisch und Fleischersatz
  • Gelbe Session: Insekten als Lebensmittel und Futter
  • Grüne Session: Vertical farming und Algenproduktion
16:00 Uhr Kaffeepause
16:30 Uhr
Synthese und Ausblick

Ergebnisse Rote, Gelbe und Grüne Session

18:15 Uhr Get-Together mit Imbiss

Veranstaltungsort

Vertretung des Landes Niedersachsens beim Bund
In den Ministergärten 10
10117 Berlin

Bericht

Buletten aus in-vitro-Fleisch, Insekten-Snacks, Soldatenfliegenmehl, Gewächshausreis: das diesjährige Strategische Forum der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) widmete sich neuartigen Lebensmitteln und deren Produktionssystemen (13.11.2018, Berlin). Mehr als 120 Teilnehmer aus Forschung, Verbänden, Ministerien und Behörden diskutierten angeregt und kontrovers mit 10 eingeladenen Experten aus dem In- und Ausland über den Sachstand und die Perspektiven. Ob durch diese alternativen Produktionswege dem steigenden Bedarf einer wachsenden Weltbevölkerung und einer höheren Nachfrage nach Fleisch bei begrenzten Ressourcen nachgekommen werden kann, stand hierbei im Mittelpunkt.

Plenum

Grenzen bestehender Produktionssysteme

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die gegenwärtigen Produktionssysteme in ihrer Wirksamkeit auf Umwelt und Tierwohl bereits an Grenzen stoßen. „Wie kann die Umwandlung der Lebensmittelsysteme unter Berücksichtigung der Ressourcen unseres Planeten gelingen?“ fragte zur Einleitung Hannelore Daniel (Technische Universität München). Eine Änderung der Nahrungszusammensetzung und Ernährungsweise hätte den größten Impact. Was hat das für Konsequenzen?

Mehr Insektenprodukte oder Zellkultur-Fleisch: weniger Fläche für Nahrungsproduktion?

Peter Alexander (Universität Edinburg) griff die Gedanken von Frau Daniel auf. Wenn sich die Weltbevölkerung ernähren wollte wie die Menschen in den westlich-industrialisierten Ländern, würde dafür die agrarisch nutzbare Fläche unseres Planeten nicht ausreichen. Ungefähr die Hälfte der Produktion auf landwirtschaftlichen Flächen wird nicht als Futter, Nahrung oder Rohstoff genutzt. Siebzig Prozent der landwirtschaftlichen Fläche wird zudem für die Erzeugung von Futter (einschließlich Weideaufwuchs) genutzt, obwohl global gesehen tierische Produkte nur einen Anteil von 15% der Kohlenhydrate und 30% der Eiweiße an der menschlichen Ernährung haben.

Je mehr Kohlenhydrate und Proteine in der menschlichen Ernährung also aus Produkten kommen, die dafür wenig landwirtschaftliche Fläche benötigen (Eiweißpflanzen, Insekten, Geflügel, Fisch, Zellkultur-Fleisch) und Lebensmittel ersetzen, die viel Fläche benötigen (Produkte von Schweinen und Rindern, die mit Ackerbauprodukten gefüttert werden), desto effizienter könnte landwirtschaftliche Fläche für die globale menschliche Ernährung genutzt werden. Vermeidung von Abfällen und von übermäßigem Konsum von Nahrungsmitteln würde zusätzlich zur Effizienz der Lebensmittelsysteme beitragen.

Zellkultur-Fleisch: man nehme …

Mark Post (Universität Maastricht) stellte den Fortschritt bei der Produktion von aus Zellkulturen erzeugtem Fleisch dar. Es wird in vitroaus Stammzellen (meist einer Kombination aus Muskel- und Fettgewebezellen) sowohl für Rind- als auch Hühner- und Fischfleisch gewonnen. Geschmack und Anmutung kommen traditionellem Hackfleisch bereits sehr nah und eine industrielle Produktion ist technisch auch schon möglich. Deshalb könnte der Kilo-Preis weiter sinken, wenn die Ausgangsstoffe nicht den Reinstheitskriterien der biomedizinischen Forschung entsprechen müssen.

Verbraucher trauen dem in-vitro-Fleisch noch nicht so recht. Studien zeigen, dass es an Vertrautheit mit den Produktionsverfahren und an Vorbildern (Influencern) mangelt. Wichtigste Forschungsfrage ist noch, wie die Wachstumsstoffe für die Zellkulturen ohne Rückgriff auf Schlachttiere und Antibiotika großskalig gewonnen werden können. Daneben ist auch die Möglichkeit der mikroskaligen Produktion im Haushalt ein Forschungsziel. Es wird auch daran gearbeitet, in in-vitro-Fleisch gesundheitsfördernde Stoffe, wie Omega-3-Fettsäuren einzubauen.

Insekten als Lebensmittel und Futter

Oliver Schlüter (Leibniz-Institut für Agrartechnik und Biotechnologie) beschrieb den Stand der Nutzung von Insekten und anderen Gliedertieren als Nahrungsmittel oder Futter. Zwei Milliarden Menschen weltweit verzehren traditionell Gliedertiere, von daher liegen bereits grundsätzliche Erfahrungen vor. Insekten können ihre Nahrungsquellen effizienter als alle Warmblüter in hochwertiges Protein und Fett umwandeln, beanspruchen kaum Platz und in ihrer (automatisierten) Produktion fällt auch weniger Abfall an.

Obwohl es mehr als eine Million Gliedertierarten gibt, werden nur verhältnismäßig wenige (zweitausend) genutzt und nur auf diese beziehen sich heutige Erkenntnisse und Erfahrungen. Schon diese wenige Arten sind sehr vielfältig in ihrer Biologie und daher in den Erfordernissen bei Haltung und Vermehrung. Auch sind die Treibhausgasemissionen bei der Produktion von Insekten bisher noch nicht über den gesamten Produktionspfad untersucht worden. Es wird bisher nur vermutet, dass die Emissionen geringer sind als bei der Produktion anderer Tiere. Lebensmittelqualität und ‑sicherheit, Gesundheitsrisiken und Allergenität sind in den Produktionssystemen in Asien und Afrika bisher nicht nach europäischen Anforderungen ermittelt worden. Für die Insektenproduktion sind vor allem Gebiete oder Produktionsorte mit gleichmäßig warmer Umgebung (natürlich oder industrielle Ab-/ Wärme) geeignet, sonst besteht ein erhöhter Energieaufwand. In Europa wäre auch eine starke Automatisierung der Produktion notwendig, um die hohen Personalkosten auszugleichen.

Die Bedingungen für den Verkauf von Insektenprodukten nach dem europäischen Novel-Food-Recht werden unterschiedlich interpretiert und behindern durch diese Unklarheit Forschung und Entwicklung.

Vertical Farming

Folkard Asch (Universität Hohenheim) argumentierte, dass auch urbane Flächen für die Produktion von pflanzlichen Nahrungsmitteln genutzt und damit zu höherer agrarischer Flächeneffizienz beitragen können. Bestehende Konzepte integrieren die Produktion von Pflanzen (vor allem Gemüse –einschließlich Salate–, Gewürze und Algen) in Gebäude, auf Dächern, Außenwänden, Innenhöfen und Balkonen. Kontrollierte Wuchsbedingungen können die Produktion erhöhen und erleichtern die Qualitätssicherung.

Für die Ernährungsbedürfnisse von Menschen müsste Stadtfläche vor allem Getreide produzieren. Das ginge auf gestapelten „Feldern“ mit niedrigwüchsigen Getreidesorten und mit Kulturbedingungen ohne Erde. Ein Hektar einer solchen Skyfarm könnte 10 – 40 ha Land ersetzen und würde vergleichsweise weniger Wasser und Nährstoffen verbrauchen. Bei Reis ergäben sich besondere Vorteile, weil dann zusätzlich erhöhte Treibhausgasemissionen aus dem Nassanbau vermieden werden könnten. Die Produktion von Pflanzen in Städten könnte auch sinnvoll zur Verwertung von Wärme und CO₂aus industriellen Prozessen im Sinn einer Kreislaufwirtschaft verwendet werden.

Für das Wachstum der Pflanzen ist aber eine gewisse Wärme notwendig. Und: kann ein Unternehmer mehr Geld mit einer Skyfarm verdienen als mit anderen Nutzungen der Grundfläche (Wohnraum, Geschäftsräume) oder wird die agrarische Nutzung von Stadtfläche eines Tages so wichtig, dass staatliche Subventionen gerechtfertigt sind?

Was sind die zentralen Fragen für die Forschung?

Wenngleich in-vitro-Fleisch, Insektenprodukte und Skyfarms sehr attraktive Optionen für die Zukunft bieten, sind sie bisher weit davon entfernt, eine mengenmäßige Alternative zur konventionellen Lebensmittelproduktion darzustellen oder eine substantielle Entlastung der Umwelt zu ermöglichen. Zu den Entwicklungsperspektiven zeigte sich in der Diskussion mit weiteren geladenen Experten, dass vor allem Forschungsbedarf über den gesamten Produktpfad für das „upscaling“ besteht, d.h., wie die Systeme alltagstauglich und zu großer Dimension entwickelt werden können. Diese Fragen gelten Produktion und Züchtung, Nahrungsmittelsicherheit und Arbeitsumfeld der in der Produktion arbeitenden Menschen, Rechtsrahmen und Nachweismethoden für Herkunft und Inhaltsstoffe, sowie Konsumentenverhalten. Für quantitative Abschätzungen oder gar umfassende Umweltbilanzen wird Forschung an konkreten Demonstrations-Systemen benötigt. Es wurde auch deutlich, dass keines der Produktionssysteme isoliert betrachtet werden kann, sondern von der Züchtung bis zur Abfallwiederverwertung durchdacht werden muss.

Um bisherige Lebensmittelsysteme sinnvoll zu ersetzen, sollten zukünftige Produktionsverfahren nicht nur flächeneffizienter als bestehende Systeme sein, sondern auch bisher nicht dafür genutzte Rohstoffe verwenden. Grünlandaufwuchs oder andere Reststoffen könnten im Prinzip für die Gewinnung der Rohstoffe für Zellkulturmedien beim in vitro-Fleisch oder für die Insektenernährung genutzt werden. Dies wäre aber vermutlich sehr aufwändig. Der gültige rechtliche Rahmen (entstanden aus Erfahrungen mit bisherigen Nahrungs- und Futtermitteln) schränkt eine Verwendung von Reststoffen noch zusätzlich ein.

Blick nach 2050

Konsens fand sich in der Feststellung, dass die diskutierten neuen Lebensmittelsysteme zwar eine Ergänzung zum vorhandenen Angebot liefern, doch werden sie in den nächsten Dekaden kaum die Flächenproduktion von Reis, Weizen, Mais und anderem Getreide oder den anderen Rohstoffen ersetzen. Mit Änderung von Ernährungsgewohnheiten und Vermeidung von Verlusten könnte viel mehr erreicht werden. Dennoch muss sich die Agrarforschung den neuen Themen und Möglichkeiten stellen und auch ihrem wissenschaftlichen Nachwuchs die neuen Techniken und Verfahren zugänglich machen.

Fotostrecke

Dokumentation der Workshops

Workshop In-vitro-Fleisch und Fleischersatz
Moderatoren: Hannelore Daniel (TU München),
Henry Jäger (BOKU Wien)

[nur mündliche Zusammenfassung]

Workshop Insekten als Lebensmittel und Futter
Moderatoren: Christoph Sandrock (FiBL, Frick),
Oliver Schlüter (Leibniz-Institut für Agrartechnik und Biotechnologie)

Workshop Vertical Farming und Algenproduktion
Moderatoren: Ursula Schließmann, Fraunhofer Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik;
Uwe Schmidt, Humboldt-Universität Berlin

© Deutsche Agrarforschungsallianz